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Forschung |

Tübinger Wissenschaftler setzen erstmals hirngesteuertes Hand-Exoskelett ein

Dr. Surjo R. Soekadar (links) im Test mit einem Probanden. Foto: Surjo R. Soekadar

Einem internationalen Wissenschaftlerteam unter Führung der Universität Tübingen ist es erstmals gelungen, mit technischen Mitteln die Handfunktion Querschnittsgelähmter im Alltag fast vollständig wiederherzustellen: Mit Hilfe eines hirngesteuerten Hand-Exoskeletts, also einer Art tragbaren Roboters, konnten sechs Probanden ihre gelähmte Hand in Alltagssituationen einsetzen.

 

 

Sie waren zum Beispiel in der Lage, selbstständig in einem Restaurant zu essen und zu trinken. Dafür hatte das Team um Dr. Surjo R. Soekadar aus der Arbeitsgruppe Angewandte Neurotechnologie gemeinsam mit dem italienischen „The BioRobotics Institute“ der Scuola Superiore Sant'Anna und dem spanischen Institut Guttmann ein System entwickelt, das Hirnströme sowie Augenbewegungen des Probanden in Steuersignale übersetzt und an das Exoskelett überträgt, das die gelähmte Hand bewegt. Die Studie wurde in der ersten Ausgabe des internationalen Fachmagazins Science Robotics vorgestellt.

 

„Dieser neue Ansatz wird die Lebensqualität Querschnittsgelähmter und Schlaganfallüberlebender in naher Zukunft deutlich verbessern“, erklärt Surjo Soekadar. Anders als bei sogenannten invasiven Systemen, bei denen Mikroelektroden ins Gehirn implantiert werden, wird Patienten hier eine Operation erspart. Neuartige Polyamid-Elektroden leiten die Hirnströme direkt an der Kopfoberfläche ab und werden mit einem Kontrollmechanismus kombiniert. So konnten die Studienteilnehmer das Hand-Exoskelett mehrere Stunden zuverlässig steuern. Das System kann ohne großen Aufwand im Alltag eingesetzt werden: Die tragbaren kabellosen Systemkomponenten sind in den Rollstuhl der Querschnittsgelähmten integriert und werden über einen kleinen Tablet-Computer gesteuert.

 

„Als nächstes planen wir die Entwicklung intelligenter, kontext-sensitiver und kosmetisch völlig unauffälliger Systeme“, erläutert Soekadar. „Diese sollen sich problemlos in den Alltag der Anwender integrieren lassen und auch ohne Hilfe Dritter angelegt werden können.“ Neben dem unmittelbaren Nutzen im Alltag kann das hirngesteuerte Hand-Exoskelett bei regelmäßiger Anwendung auch den Erholungsprozess nach Rückenmarksverletzungen oder Schlaganfällen unterstützen und damit helfen, die Bewegungsfähigkeit der gelähmten Hand wiederherzustellen. Mit solchen neuroplastischen Effekten könnten auch die Behandlungsoptionen für neuropsychiatrische Erkrankungen wie Depressionen oder kognitive Störungen wirkungsvoll erweitert werden. Um solche Effekte nachzuweisen, sind jedoch weitere, großangelegte klinische Studien erforderlich.

 

Die Arbeitsgruppe Angewandte Neurotechnologie ist eine gemeinsame Einrichtung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, sowie des Magnetoenzephalographie Zentrums (MEG) der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums. Im Mittelpunkt der Forschung steht der klinische Einsatz von Gehirn-Maschine Schnittstellen (engl. brain-machine interfaces, BMIs) und deren Kombination mit nicht-invasiven Hirnstimulationsverfahren.

 

Video zur Studie: http://goo.gl/qs3wjf

 

 

Publikation

Soekadar SR, Witkowski M, Gómez C, Opisso E, Medina J, Cortese M, Cempini M, Carrozza MC, Cohen LG, Birbaumer N, Vitiello N. Hybrid EEG/EOG-based brain/neural hand exoskeleton restores fully independent daily living activities after quadriplegia. Science Robotics 1, eaag3296 (2016).
Web-Adresse des Journals: http://www.sciencemag.org/journals/robotics

http://www.sciencemag.org/journals/robotics

 

 

Quelle: Universität Tübingen